Digitalisierung im Handwerk: Künftigen Anforderungen entgegentreten
Veröffentlicht am: 23.05.2022
R+S lud Vertreter aus Politik und Wirtschaft zum Austausch ein: Aus- und Weiterbildungsvarianten, Smart-Home-Projekte und Nachhaltigkeit
Fulda. Im Smart Home das Heizsystem oder die Beleuchtung, den Alarmmelder oder die Kaffeemaschine digital steuern – das gefällt immer mehr Hausbesitzern. Auch Unternehmen nutzen die neuen Möglichkeiten, um Routineprozesse mit modernster Technik einfacher zu gestalten. „Die stetig zunehmende Digitalisierung bringt viel Komfort und bietet interessante Tätigkeitsfelder. Sie stellt Handwerksbetriebe aber auch vor große Herausforderungen“, sagt Ralph Burkhardt, Vorsitzender der Geschäftsführung der R+S Group GmbH. Der Betrieb rund um Gebäude-, Schiffs- und Industrietechnik hatte Vertreter aus Politik und Wirtschaft ins Fuldaer Münsterfeld eingeladen, um einen Austausch zu starten. „Wir müssen Strategien für die Anforderungen der Zukunft entwickeln“, so Burkhardt, „und dazu gehört auch, die Ausbildungsinhalte zügig zu aktualisieren beziehungsweise zusätzliche Weiterbildungsangebote zu initiieren“.
Diplom-Ingenieur Walter Neder, Leiter der Technik-Ausbildung bei R+S, bringt es auf den Punkt: „Viele Auszubildende haben das Problem, die Theorie, die sie in der Berufsschule lernen, dann auch wirklich in der Praxis umzusetzen, weil das theoretische Basiswissen und die modernen Anforderungen auf den Baustellen häufig etwas voneinander abweichen.“ Und die Theorie beispielsweise im Bereich Elektrotechnik sei sehr umfangreich, die Themen komplex. „Heute braucht ein Elektriker auch Fachwissen in der Anlagenmechanik. Der Heizungsinstallateur wiederum muss auch viel über Elektronik wissen. Wir versuchen in der innerbetrieblichen Aus- und Weiterbildung schulische Inhalte weiterzuentwickeln. In Zeiten des Fachkräftemangels sind unsere Ressourcen für solche zusätzlichen Seminare allerdings begrenzt.“
Besichtigung von R+S-Tochterunternehmen
Die Besuchergruppe mit Mark Weinmeister, Regierungspräsident in Kassel, Fuldas Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, Fuldas Landrat Bernd Woide, Michael Konow, Hauptgeschäftsführer der IHK Fulda, Dr. Arnd Klein-Zirbes, Hauptgeschäftsführer der IHK Kassel-Marburg, Jürgen Müller, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Kassel, Dr. Thomas Fölsch, Bereichsleiter Aus- und Weiterbildung IHK Kassel-Marburg, und Professor Dr. Wolfgang Dippel, Mitglied der Direktion der Privaten Berufsakademie Jordan, besichtigte zunächst das R+S-eigene Weiterbildungszentrum WBZ – Weiterbildung mit Zukunft GmbH.
WBZ-Geschäftsführerin Annette Oswald, WBZ-Geschäftsführer Roland Jahn und WBZ-Leiter Sebastian Dippel gaben einen Einblick in die vielfältigen Seminare des Hauses – für Mitarbeitende der Unternehmensgruppe wie auch für externe Teilnehmer und Unternehmen. Im Anschluss fand eine Führung durch die Produktion des R+S-Tochterunternehmens Scholl Energie- und Steuerungstechnik GmbH statt. Hierbei wurde anhand der Prüfungsarbeiten und der aktuellen Schaltanlagen deutlich, welche Anforderungen am Markt bestehen und mit welchem theoretischen Wissen die Auszubildenden arbeiten.
Bereits im vergangenen Herbst war der damalige Regierungspräsident Hermann-Josef Klüber im WBZ – Weiterbildung mit Zukunft zu Gast. Schon bei diesem Besuch war auf Verbesserungsmöglichkeiten bei Aus- und Weiterbildung sowie auf den Austausch der verschiedenen Gremien beim dringlichen Thema Fachkräftebedarf des Handwerks eingegangen worden. Nun ging es um die Vertiefung der Themen. Neben smarten Prozessen besprach man weiterhin Aspekte der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit in Unternehmen.
Junge Talente und Betriebe zusammenbringen
Angeregt wurde, dass die Ausbildungsinhalte in den Handwerksbereichen Elektro sowie Heizung, Klima, Lüftung und Sanitär an die wirtschaftlichen Bedürfnisse und den technischen Standard angepasst werden müssten. Die Teilnehmenden stellten hierbei fest, dass auch die Rahmenlehrpläne angepasst werden müssten, um die wirtschaftlichen Anforderungen nachhaltig integrieren zu können.
„Gut ausgebildeter Nachwuchs ist elementar für eine prosperierende Handwerksbranche“, sagte Regierungspräsident Mark Weinmeister. „Wir müssen in der Region attraktive Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten vorhalten, denn der Fachkräftemangel schlägt schon jetzt vielerorts spürbar durch. Wenn wir überlegen, wie wir die Region NordOstHessen für die kommenden zwanzig Jahre robust aufstellen wollen, dann müssen wir deshalb Themen wie Digitalisierung, nachhaltiges Bauen und die Fachkräftesicherung konsequent zusammendenken.“
Beim Stichwort Fachkräftemangel sei es fundamental, Jugendliche für das Handwerk zu begeistern. „Der fehlende Werkunterricht in den Schulen sorgt dafür, dass Kinder oder Jugendliche mit dem Begriff Handwerk keine eigenen Erfahrungen verbinden und sich ihrer Talente oder Interessen in diesem Bereich gar nicht bewusst werden“, monierte Jürgen Müller, und Dr. Thomas Fölsch ergänzte: „Es ist sehr wichtig, bereits in den Schulen handwerkliche und auch technische Angebote zu platzieren, damit Jugendliche ihre wahren Talente entdecken können.“ Mögliche Lösungsansätze liegen in handwerksbezogenen Schülerpraktika, Unterrichtseinheiten zur Talentförderung sowie einem neu aufgesetzten Technikunterricht.
Neues Traditionsverständnis schaffen
Zusätzliche Fachkräfte für die Unternehmen sollten unter anderem auch verstärkt im Ausland gewonnen werden. Bestehende Fachkräfte könnten in möglichen neuen Sparten, wie beispielsweise Smart Home und Smart City, zu Spezialisten weitergebildet werden. Unterschätzt würden hierbei auch potenzielle Quereinsteiger, welche mit Qualifizierungsmaßnahmen durchaus berufliche Chancen im Handwerk haben.
Moderne Software-Lösungen wie Planradar oder Matterport sowie Building Information Modeling (BIM) für optimale digitale Vernetzung von Bauplanung und -ausführung könnten verstärkt zum Einsatz kommen.
Die Zusammenarbeit der Verbände, Einrichtungen und Unternehmen müsse zur Bündelung der Kompetenzen intensiviert werden, da war man sich einig. Michael Konow bekundete hierbei seine Unterstützung: „Es kann für alle Beteiligten nur von Vorteil sein, wenn sich die Institutionen in einen direkten Austausch begeben, um die Branche zukunftsgerichtet weiterzuentwickeln. Die IHK Fulda unterstützt hier gerne.“
„Wir wollen ein neues Traditionsverständnis schaffen, denn Berufe im Handwerk sind unglaublich vielseitig und spannend“, unterstrich Ralph Burkhardt in der Diskussionsrunde. Und schließlich sei das Handwerk mittlerweile einer der bestbezahlten Branchen überhaupt. Auch darauf müsse hingewiesen werden.
Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld als auch Landrat Bernd Woide sind von dem Austausch beeindruckt: „Es wurde klar und verständlich, dass sich in diesem Bereich etwas verändern muss. Dies geht nur gemeinschaftlich.“
Dem Termin der Runde werden nun weitere Treffen folgen. Ralph Burkhardt: „Es gibt viele großartige Ansätze. Jetzt geht es darum, dranzubleiben, die Ideen praktisch umzusetzen, um schon bald konkrete Ergebnisse präsentieren zu können.“